Aerosol-Übertragung kann nahezu ausgeschlossen werden

Aerosol-und CO2-Messungen im Konzerthaus Dortmund liefern Fakten zu Corona-Ansteckungsgefahr bei Besuchen von Konzerthäusern und Theatern.

Im Auftrag des Konzerthaus Dortmund haben das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut am Standort Goslar und die Messtechnik-Firma ParteQ die räumliche Ausbreitung von Aerosolen und CO2in einemKonzertsaal experimentell untersucht.

Die Studie erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt und Hygieneexperten. Es ist die erste veröffentlichte Studie, die das Ziel verfolgt, experimentelle Daten zur Beurteilung einer möglichen Corona-Ansteckungsgefahr bei Besuchen von Konzerthäusern zu gewinnen.

Gefahr von Infektionen durch Aerosole kann nahezu ausgeschlossen werden

Am 2./3. sowie 20. November 2020 wurden umfangreiche Messungen im Zuschauerraum und den Foyers des Konzerthauses vorgenommen. Die Auswertungen der experimentellen Untersuchungen zeigen, dass insbesondere im Saal unter den gegebenen Bedingungen die Gefahr der Übertragung von Infektionen durch Aerosol-Übertragung nahezu ausgeschlossen werden kann.

Vor allem die vorhandene zentrale Lüftungsanlage sowie das Tragen eines Mund-Nasenschutzes verringern die Aerosol-und CO2-Belastung stark, so dass theoretisch eine Vollbesetzung im Saal denkbar wäre. Unter Einbezug der Zuwege und Foyers wird jedoch eine Saalbelegung im Schachbrettmuster und damit 50 % der Saalkapazität empfohlen.

Mit der Studie können neben konkreten Ergebnissen für einen Besuch im Konzerthaus Dortmund auch Aussagen für andere Konzerthäuser oder Theater ähnlicher Größenordnung getroffen werden.

Konzerthäuser und Theater sind keine Infektionsorte

»Konzerthäuser und Theater sind keine Infektionsorte«, hatte Dr. Raphael von Hoensbroech, Intendant des Konzerthaus Dortmund, schon im September gesagt. Die vorliegende Studie diene aber nicht derKritik an bisherigen Entscheidungen:»Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Politik wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen benötigt. Mit unserer Studie wollen wir dazu beitragen, dass die Konzerthäuser und Theater bei Öffnung wieder hinreichend Publikum zulassen können.«

Die Relevanz der Studie bestätigt auch NRW-Kultur-und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen: »Das Thema Belüftung ist ein entscheidender Faktor für die Wiedereröffnung von Kultureinrichtungen. Die Studie des KonzerthausDortmund ist daher ein wertvoller Baustein für die Bemühung, den Spielbetrieb auch in Pandemiezeiten zu ermöglichen. Sie zeigt gleichzeitig, mit welch großem Verantwortungsbewusstsein die Kultureinrichtungen dem Publikum gegenüber handeln.

Erarbeitung einer differenzierten Öffnungsstrategie

Und weiter sagt Pfeiffer-Poensgen: »Mit Blick auf die große Relevanz der Belüftung hat die Landesregierung eine gemeinsame Arbeitsgruppe unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern von Kultureinrichtungen eingesetzt, die auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen derzeit eine differenzierte Öffnungsstrategie erarbeitet. Teil dessen ist eine breitangelegte Analyse der Wirksamkeit von Belüftungssystemen in nordrhein-westfälischen Kultureinrichtungen, deren Durchführung Ende letzten Jahres begonnen hat. Es ist schmerzlich, dass das nach wie vor hohe Infektionsgeschehen eine Wiedereröffnung derzeit noch nicht zulässt. Umso wichtiger ist es, für die Zeit nach dem Lockdown Perspektiven und Planungssicherheit zu schaffen.«

Studienergebnisse sind relevant für Wiedereröffnung

Die Studie liefert Ergebnisse, die für eine Wiedereröffnung von Bedeutung sind. Die bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zielen auf diegenerelle Reduzierung von Kontakten und bedeuten so auch die Schließung der Theater und Konzerthäuser für den Publikumsverkehr.

Nach dem Beschluss des Bundestags und Bundesrats vom 18. November 2020 soll das Infektionsschutzgesetz bei Beschränkungen des Betriebs von Kultureinrichtungen oder von Kulturveranstaltungen der Bedeutung der Kunstfreiheit Rechnung tragen. Sobald dies angesichts der Infektionslage möglich ist, sollten daher die Kultureinrichtungen wieder öffnen können, und das auf Basis wissenschaftlicherFakten und einer differenzierten Betrachtung der jeweiligen örtlichen und konzeptionellen Gegebenheiten.

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Für das Konzerthaus Dortmund lässt sich anhand der Studienergebnisse folgendes zusammenfassen:

  • Mit Maske sowie mit ausreichend dimensionierter Frischluftzufuhr über die vorhandene raumlufttechnische Anlage(RLT-Anlage) gab es bei den Untersuchungen praktisch keine Beeinflussung durch Prüfaerosole auf allen Nachbarplätzen eines emittierenden Probanden.
  • Bereits dasgroße Raumvolumen sorgt für eine starke Verdünnungvon belasteten Aerosolen, durch den Zu-und Abluftbetrieb der RLT-Anlage ohne Umluftfunktion werden Aerosole in allen Bereichen effektiv abtransportiert und können sich nicht anreichern.
  • Ohne Maske sollte man jeweils den direkten Vorderplatz freihalten, mit den restlichen Nachbarplätzen ist eine Infektion aufgrund der Untersuchungen sehr unwahrscheinlich. Eine Schachbrett-Besetzung des Saales ohne Maske nach Einnahme des Sitzplatzes ist in jedem Fall zu empfehlen.
  • Besetzung des Konzerthauses mit vielen Personen stört den Luftaustausch nach oben nicht,sondern fördert diesen eher durch zusätzliche thermische Effekte.
  • Das Tragen von Masken ist auf Gängen, im Pausenbereich und in den Foyers grundsätzlich notwendig, da hier die Lüftung anders als imKonzertsaal arbeitet (u.a. Luftaustritt aus der Decke) und zudem enge Kontaktenicht auszuschließen sind. Während der Pausen bleiben zudem alle Türen zum Konzertsaal geöffnet, um eine zusätzliche Querstromlüftung zu ermöglichen.
  • Das Konzerthaus kann bei vorhandenem Lüftungskonzept (kompletter Luftaustausch mit Außenluft alle 20 Minuten) keinen Superspreading-Event auslösen.
  • CO2-Messungen im laufenden Betrieb können dazu beitragen, die Ausbreitung von luftgetragenen Partikeln im Saal besser zu beurteilen.

Diese Ergebnisse wurden in enger Abstimmung mit dem Umweltbundesamt erstellt. »Hervorragende Untersuchung mit viel Aussagekraft! Das ist genau das, was wir brauchen an Informationen«, betont Dr.-Ing. Heinz-Jörn Moriske, Direktor und Professor im Umweltbundesamt (Leitung Beratungsstelle Umwelthygiene, FB II (BU), Geschäftsführung Innenraumlufthygiene-Kommission), und führt weiter aus:

»Ich kann mich dem Fazit vollumfänglich anschließen. Bei schachbrettartiger Verteilung der Gäste und 100% Volllast der raumlufttechnischen Anlage ist das Infektionsrisiko sehr gering. Das Tragen von Mund-Nasenschutz im Saal ist von Vorteil, wenn auch nicht von so großer Bedeutung, wie vorher angenommen.«

Auch der Hygieneexperte Professor Dr. med. Martin Exner betont die Bedeutungdieser Ergebnisse: »Die Studie liefert wichtige Grundlagen zur Abschätzung eines Übertragungsrisikos von SARS-CoV-2 bei Konzerten mit Publikum.«

Empfehlung: Wiedereröffnung mit 50% Kapazität und Schachbrettmuster

Zusammenfassend kann eine Wiederöffnung mit mindestens 50% der Kapazität als Schachbrett mit je einem freigelassenen Sitzplatz zwischen den Sitzgruppen auf Grundlage der Studienergebnisse empfohlen werden, zumal die Sicherheitsabstände in den Foyerflächen und bei den Wegen in und aus dem Saal sichergestellt werden können. Eine geringere Auslastung hätte somit keinerlei Mehrwert für den Infektionsschutz. Sind die Infektionszahlen insgesamt wieder auf niedrigem Niveau, wäre aus hygienischer Sicht bei Tragen von Mund-Nasenschutz eventuell später auch ein vollbesetzter Saal denkbar. Dies könnte z.B. über modellbasierte Berechnungen abgesichert werden.

Auch Aussagen über andere Venues möglich

Mit der Studie können neben konkreten Ergebnissen für einen Besuch im Konzerthaus Dortmund auch Aussagen für andere Konzerthäuser oder Theater getroffen werden, in denen in bestimmten Punkten vergleichbare Rahmenbedingungen herrschen. An Häusern, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, können durch das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut zusätzliche Studien mit relativ wenig Aufwand durchgeführt werden. Leiter der Studie ist Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Schade, Abteilungsleiter Faseroptische Sensorsystemeam Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut.

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