Erstmals wird das TV-UHF-Band in einem Bundeskoalitionsvertrag mit Beteiligung von CDU/CSU ausdrücklich genannt. Und das gleich an drei Stellen. Grund genug um bei Jochen Zenthöfer von SOS – Save our Spectrum etwas genauer Nachzufragen was denn das in Zukunft bedeutet…
Politische Einordnung
mothergrid: Was bedeutet die erstmalige explizite Erwähnung des TV-UHF-Bandes im Koalitionsvertrag für die Kultur- und Kreativwirtschaft?
Jochen Zenthöfer: Dies belegt die immense politische und ökonomische Bedeutung der Kultur! Das TV-UHF-Band ist sogar an drei Stellen im Koalitionsvertrag erwähnt. Auch gab es bereits im „Ampel“-Vertrag das Bekenntnis zum Erhalt der Kulturfrequenzen. Das hat uns bei der Weltfunkkonferenz 2023 sehr geholfen. Und in den nächsten Jahren werden Opposition, Verbände, Künstler und Presse hoffentlich wieder darauf achten, dass die Kultur nicht verschwinden muss aus den Kulturfrequenzen. Denn der Bedarf an Frequenzen steigt, nicht zuletzt durch die neuen „Spectera“-Breitbandsysteme.
mothergrid: Wie bewerten Sie die Aussage, dass „alle berechtigten Interessen“ bei der Frequenzvergabe berücksichtigt werden sollen? Welche Interessen sind hier konkret gemeint?
Jochen Zenthöfer: Es gibt vier bestehende Nutzer des Bandes. Das sind der Rundfunk für die terrestrische Fernsehverbreitung (DVBT-2 und künftig 5G Broadcast), die Radioastronomie, der Wetterdienst und wir als Kultur, also PMSE, „Programme making and special events“. Mit diesen Nutzern ist das Band komplett belegt. Trotzdem wollen drei weitere Gruppen ins Band: Zuerst die Mobiltelefonie. Die haben aber bereits ausreichend Spektrum und könnten ihre Technik verbessern, bevor sie die Kulturfrequenzen killen. Dann gibt es noch die Bundeswehr. Mir ist diese ganze Aufrüstung zuwider. Meines Erachtens hat das Militär mehr als genug Frequenzen, viele Filetstücke inklusive. Zuletzt gibt es noch die BOS, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Aber die rücken schon wieder vom TV-UHF-Kernband zwischen 470 und 694 MHz ab, weil das ein Sonderweg wäre in Europa. Es gibt also drei neue Interessenten, aber ich sehe keinen künftig im Band.
mothergrid: Wie wird sichergestellt, dass die terrestrische Rundfunkverbreitung als „kritische Infrastruktur“ tatsächlich geschützt wird?
Jochen Zenthöfer: Wir sehen, wie schnell Katastrophen und Krieg kommen können. Deutschland braucht die Terrestrik für solche Fälle. Ich bin sicher, dass Digitalminister Karsten Wildberger das auch erkannt hat. In der Umsetzung bedeutet das: Kulturfrequenzen sichern; Bundeswehr und BOS ins 700 MHz-Band statt in unseren Kulturfrequenzen. Und die Übertragungstechnik 5G Broadcast macht Europa unabhängig.
Der Bericht des Untersuchungsausschusses zur Katastrophe im Ahrtal 2021 verweist auf die Unzuverlässigkeit des Mobilfunks in einer solchen Situation. „Als die Katastrophe ihren Höhepunkt erreichte, waren bereits die Telefon- und Mobilfunknetze komplett ausgefallen, als auch der behördliche Digitalfunk zusammenbrach. Der Digitalfunk BOS, der fast 1,2 Millionen Teilnehmer umfasst und von Feuerwehr, Polizei, Rettungsdiensten und Katastrophenhelfern genutzt wird, konnte seine Funktion in diesem entscheidenden Moment nicht erfüllen. Die Abhängigkeit von den Datenleitungen der Telekom, die durch die Wassermassen zerstört wurden, war ein wesentlicher Grund für diesen Ausfall.“ Der Rundfunk mit seinen UHF-Frequenzen erwies sich als resilient.
Ich vertraue Michael Moskob, Leiter Regulierung und Unternehmenskommunikation der Media Broadcast, der jüngst der F.A.Z. mitteilte, 5G Broadcast könne in Deutschland sowie europaweit ab 2027 in Betrieb gehen.
Technische und kulturelle Perspektive
mothergrid: Welche praktischen Auswirkungen hätte eine Umwidmung des UHF-Bandes auf den Einsatz von drahtlosen Produktionsmitteln wie Mikrofonen und In-Ear-Systemen?
Jochen Zenthöfer: Katastrophal! Wir verlieren seit Jahren immer mehr Spektrum, um mal ein Bild zu gebrauchen: Der Schwamm ist ausgedrückt, mehr kann man aus uns nicht herauspressen. Es gibt schon heute Frequenzmangel bei Veranstaltungen in Deutschland. Noch kann man diese Probleme mit halblegalen Mitteln lösen, aber das geht bald nicht mehr. Die Folge wird sein: Weniger Konzerte, weniger Festivals, weniger Veranstaltungen. Im Jahr 2024 gab es mit 70 Millionen Konzertbesuchern in Deutschland einen Rekord, der sogar das Jahr 2019 übertraf. Die Gesamtzahl der Konzerte liegt mit rund 250.000 noch leicht unter dem Niveau vor Covid, aber sie steigt. Wollen wir all das zerstören? Zudem erinnere ich an die Hotels in Deutschland, die ebenfalls die Frequenzen brauchen. Markus Luthe, Hauptgeschäftsführer Hotelverband Deutschland (IHA), sagte jüngst: „Einen finalen ‚Mic Drop‘ für die Tagungshotellerie gilt es zu verhindern!“
mothergrid:Wie kann ein fairer Interessenausgleich zwischen Rundfunk, Kultur, BOS-Diensten und Mobilfunkanbietern im Frequenzbereich 470–694 MHz gelingen?
Jochen Zenthöfer: Mobilfunk braucht keine weitere Frequenzen. Wir empfehlen mehr Antennenelemente pro Antennengehäuse und damit moderne MIMO-Antennentechnik. Dann ist genug Bandbreite für alle da und der Wunsch nach ausreichender Datenrate kann bedient werden. Schon heute. Diese Lösung ist einfacher, als im Frequenzplan nach mehr Bandbreite zu suchen oder der Kultur Bandbreite wegzunehmen! Zudem ist es für alle Beteiligten ein Gewinn: die Kultur (PMSE) muss keinen Frequenzverlust mehr befürchten und der Mobilfunk profitiert mit 4G und 5G von der modernen MIMO Antennentechnik.
Experten wie William Webb [The End of Telecoms History, 2024] zeigen, dass der Kapazitätsbedarf in Mobilfunknetzen abflacht. Das lesen wir auch im Ericsson Mobility Report vom Juni 2024. Zudem wird bald 3G (UMTS/W-CDMA) abgeschaltet. Diese Abschaltungen und die Umstellung auf 4G (LTE) und 5G (NR – New Radio) werden enorme Kapazitätsgewinne bei konstanter Bandbreite [MHz] bringen. Das ist der Fall, weil mit MIMO Mehrantennentechnik in 4G und 5G aus derselben Bandbreite in MHz mehr Datenrate (= Kapazität in bit/s) rausgeholt wird.
Zum Militär kann ich nur sagen: Kultur statt Krieg! Entschuldigung, aber manchmal ist es so einfach. Natürlich ist Putin ein Verbrecher und der Ukraine ist zu helfen. Aber: Die Bundeswehr hat bereits ausreichend Frequenzen, um sich gegen Russland zu verteidigen. BOS-Dienste sollen ins 800 oder 900 MHz-Band, das haben Vodafone & Co. denen bereits angeboten. Prima, da stört uns BOS nicht. Das ist eine gute Lösung für alle.
mothergrid: Welche technischen Alternativen gäbe es für BOS-Dienste, um Frequenzen oberhalb von 700 MHz zu nutzen, wie es SOS vorschlägt?
Jochen Zenthöfer: Der „Behörden Spiegel“ hatte jüngst Details zur Lösung des Funkbedarfs von BOS (Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) veröffentlicht. Darin hieß es: „ … Die bisherige Mitnutzung der LTE- und 5G-Infrastruktur kommerzieller Mobilfunknetze durch die BOS soll künftig auf der Basis bevorrechtigter Funknetzzugänge für die BOS-Endgeräte erfolgen. Bei der Mitnutzung kommerzieller Mobilfunknetze will die BDBOS künftig als Mobile Virtual Network Operator (MVNO) auftreten und eigene SIM-Karten an die BOS ausgeben.
Die bevorrechtigte Mitnutzung der Mobilfunknetze und die Tätigkeit der BDBOS als MVNO soll auf der Basis von Rahmenverträgen mit den Netzbetreibern geregelt werden. Alle in Deutschland agierenden MNOs (Telekom Deutschland GmbH, Vodafone GmbH, Telefónica Germany GmbH & Co. OHG, 1&1 Telecom GmbH) sollen demnächst zu einem Vertragsabschluss von der BDBOS eingeladen werden.“ Damit braucht BOS keine Frequenzen im TV-UHF-Band zwischen 470 und 694 MHz.
www.behoerden-spiegel.de/nl/nl_kata_139.pdf
Europäische Dimension
mothergrid: Welche Rolle spielt die EU-Frequenzpolitik und die Weltfunkkonferenz 2023 für die nationale Umsetzung?
Jochen Zenthöfer: Die Weltfunkkonferenz setzt die Leitplanken für die nationalen Umsetzungen. Bei der Weltfunkkonferenz 2023 sind die Mikrofone mit einem blauen Auge davongekommen. Das ist der Arbeit der „Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen“ zu verdanken, dort sind Mitglied: ARD, Deutschlandradio, Media Broadcast, Medienanstalten, Sennheiser, VAUNET e.V., ZDF, Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI e.V. und SOS – Save Our Spectrum. Zu verdanken haben wir das auch unseren Partnerverbänden in den anderen europäischen Ländern.
mothergrid: Wie kann Deutschland sicherstellen, dass die Primärnutzung des UHF-Bandes durch den Rundfunk auch über 2030 hinaus auf europäischer Ebene Bestand hat?
Jochen Zenthöfer: Ich setze keine großen Hoffnungen auf Deutschland, da Kultur und auch Veranstaltungswirtschaft leider keine große Bedeutung in der Politik haben. Vielleicht ändert sich das mit der neuen Regierung. Hoffentlich. Trotzdem arbeite ich Tag und Nacht dafür, dass sich Frankreich, Italien, Spanien und andere für die Frequenzen einsetzen. In Österreich sehe ich auch viel Verständnis für uns, zumal der ESC 2026 dort ausgetragen wird. Dafür braucht es viele Frequenzen.
mothergrid: Gibt es bereits konkrete Initiativen oder Allianzen auf EU-Ebene, die sich für den Erhalt der Kulturfrequenzen einsetzen?
Jochen Zenthöfer: Ja. SOS hatte vor der letzten Weltfunkkonferenz den „Call to Europe“ mitinitiiert. Drei Kampagnen haben wir durchgeführt – mit riesigem Erfolg. Am Ende haben 80 Organisationen aus 20 Ländern mitgemacht. Das hat dazu beigetragen, dass sich die EU pro Kulturfrequenzen ausgesprochen hat.
Wir werden das wiederholen. Wir sind jetzt gut vernetzt. Die Pandemie ist vorbei. Das kulturelle Leben braucht Sicherheit und Zukunft. Übrigens unterstützen uns auch Messeveranstalter, Hotellerie und Filmbranche. Diese Allianzen sind auch deshalb wunderbar, auch weil es alle wunderbare Menschen sind, die sich da einbringen: Weltoffene, diverse, kulturaffine Leute. Manche treffe ich auf Konzerten und Festivals. Wir können auch toll gemeinsam feiern.
Zukunft und Umsetzung
mothergrid: Welche nächsten Schritte sind geplant, um die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele zur Frequenzvergabe umzusetzen?
Jochen Zenthöfer: Es gibt einen Bund-Länder-Lenkungskreis UHF (BLLK) von verschiedenen Ministerien. Dieser Lenkungskreis hat eine Technische Arbeitsgruppe (TAG) eingesetzt. An dieser TAG wurde die Kultur nicht beteiligt. Stattdessen ist etwa die Bundeswehr dabei. Das ist ein großes Ärgernis. Es wurden Briefe an den Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, und an das Digitalministerium geschrieben, die Kulturbranche hat ihre Mitarbeit angeboten. Leider gab es keine Antworten. Klaus Müller macht einen super Job als Chef der Bundesnetzagentur, dass er hier nicht antwortet, ist sehr enttäuschend.
mothergrid: Wie können Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche aktiv in den Entscheidungsprozess eingebunden werden?
Jochen Zenthöfer: Wir würden gerne mitarbeiten bei der Technischen Arbeitsgruppe (TAG) vom Bund-Länder-Lenkungskreis UHF. Ich hoffe, dass der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hier zugunsten der Kultur interveniert.
mothergrid: Welche Maßnahmen sind erforderlich, um die langfristige Nutzung des UHF-Bandes für Kultur und Rundfunk zu sichern?
Jochen Zenthöfer: Wir brauchen eine Sicherung des TV-UHF-Bandes zwischen 470 und 694 MHz für die bisherigen Nutzer bis mindestens zum 30. Juni 2042. Der Mobilfunk braucht keine weiteren Frequenzen, da sind sich fast alle einig; die Bundeswehr hat bereits genug Frequenzen im Friedensfall und die Sicherheitsbehörden (BOS) können Bänder des kommerziellen Mobilfunks mit nutzen.
Pia von Houwald, die bei Telefónica unter anderem die Zusammenarbeit mit Behördenkunden vorantreibt, sagte neulich: „Wenn sich Bund und Länder über die Ausschreibung einig sind und der Zuschlag für den Aufbau solch eines Kernnetzes erfolgt ist, sollte es nicht mehr als zwölf bis 15 Monate brauchen, diese Infrastruktur betriebsbereit aufzubauen.“ Prima! BOS darf Mobilfunknetze nutzen, kann sofort loslegen, spart viel Geld und lässt die Kulturfrequenzen unangetastet. Das ist ein win-win-win-Lage für alle!
mothergrid: Vielen Dank für ihre Zeit.
Das Interview führte Henning Sommer.
Weitere Informationen zu SOS – Save our Spectrum findet ihr unter: sos-save-our-spectrum.org