Buchrezension: „Touring and Mental Health“

Das Buch „Touring and Mental Health“ ist eines der ersten seiner Art und richtet sich direkt an die Musikindustrie. Es wurde geschrieben für Musiker:innen und Personen, die im Bereich Live-Musik arbeiten. Das Nachschlagewerk soll dabei helfen, physische und psychische Schwierigkeiten zu erkennen, zu bewältigen und zu managen, die während einer Tour oder als Folge des Tourlebens auftreten können. Susanne Otta hat es für uns gelesen.

Das Buch bietet Anleitungen zu Themen wie mentaler und körperlicher Gesundheit, Beziehungsproblemen, Vorbereitung auf Auftritte, Medientraining und vielem mehr. Es wurde von Fachleuten aus dem Bereich der darstellenden Künste verfasst, darunter Psychotherapeuten, Psychologen, Ärzte, Ernährungsberater sowie Experten für Schlaf, sexuelle Gesundheit und Sucht. Alle Autoren verfügen über spezialisiertes Wissen über die Live-Musikindustrie und die Menschen, die in diesem Bereich tätig sind.

Das Buch ist reichhaltig illustriert und enthält praktische Anleitungen, Ressourcen, psychoedukative Inhalte, Diagramme, Illustrationen und Fallbeispiele von Musikern und Tournee-Personal. Jedes Kapitel wird durch persönliche Erinnerungen von Musikern und Tournee-Crews ergänzt, darunter Nile Rodgers, Justin Hawkins, Philip Selway, Charles Thompson, Katie Melua und vielen anderen.

Wissenschaftliche Informationen, ansprechend aufbereitet

Und wie findet unsere Autorin Susanne Otta das Buch? Ihr Fazit fällt sehr positiv aus:

Die erste bemerkenswerte Eigenschaft an Embletons Buch ist seine bloße Existenz: Unsere Branche braucht dieses Buch dringend und hätte es eigentlich schon sehr viel früher brauchen können. Aber besser spät als nie. Dass Tamsin Embleton vom Fach ist, merkt man sofort. Nicht nur, weil sie dies explizit erwähnt, sonder nauch daran, wie sie schreibt und welche Beispiele sie heranzieht.

Selbst als Sängerin gestartet, macht Embleton früh in ihrer Karriere die Bekanntschaft mit Angstzuständen und wechselt den Beruf. Sie sammelt Erfahrungen als Bookerin, Roadmanagerin, Künstleragentin und Stagemanagerin. Trotz diesem bunten Strauß an Event-Perspektiven merkt man dem Buch an, dass es in erster Linie für Künstler:innen geschrieben wurde. Das mag allerdings auch daran liegen, dass sie als Therapeutin, die sie daraufhin wurde, vorrangig mit Künstler:innen zu tun hat.

Das schadet dem Buch insgesamt aber nicht. Auch, dass „Touring“ hier vor allem klassische Musik-Tourneen meint. Die Herausforderungen, die hier behandelt werden, gleichen denen, die alle Beteiligten vorfinden, seien es Techniker:innen, Manager:innen, Veranstalter:innen oder Künstler:innen. Und nicht nur bei Live-Musik Events, sondern durchaus auch im Corporate-Event Bereich.

So ist hier zum Beispiel die Rede von einem besonderen Mindset, dem „High”, das man empfindet, wenn man gemeinsam etwas geschaffen hat, langen Perioden, an denen man fern von zu Hause ist, wenig Schlaf, Erschöpfung und Stress. Das trifft gewissermassen auf alle Beteiligten der Eventbranche zu.

Das Buch ist ziemlich umfassend. Der oder die Lesende wird erst einmal grundsätzlich informiert, was Mentale Gesundheit ist, was man also unter psychischen Erkrankungen versteht und was der Unterschied zu psychiatrischen Störungen ist. Das Thema wird sowohl in den Kontext von Geschlechterrollen als auch Migration gesetzt. Dabei bleibt es sehr wissenschaftlich – mit Quellenangaben – leicht verständlich und verliert nicht den Bezug zur Branche.

Zudem findet man neben fundierten Erklärungen in den einzelnen Kapiteln zu Gruppendynamiken, Angstzuständen, Stress, Gesundheit und Bewegung immer wieder Tips und Tricks, wie man mit Situationen umgehen kann, wann man professionelle Hilfe suchen sollte und wie man anderen helfen kann.

Fazinierend: Immer wieder der Bogen zu Kern und Branche

Faszinierend ist, wie das Buch und seine Autor:innen immer wieder den Bogen zur Branche schlagen und die Kernherausforderungen thematisieren. Sei es die Herausforderung, Partnerschaften am Leben zu halten, Suchtprobleme, Erfolgsdruck oder Konflikte in der Gruppe. Auch typische Krankheitsbilder wie Angstzustände, Depression, Posttraumatische Balstungsstörung, die Auswirkungen von Stress und Traumata, Sexsucht und Essstörungen werden in aller Tiefe beleuchtet und erklärt und Bezüge zum Tournee-Leben hergestellt, die aufzeigen, warum gerade wir besonders betroffen sind. Und die Autor:innen benennen Wege heraus aus dem Dilemma.

Kapitel zu Themen, die einen persönlich nicht betreffen, kann man gut überschlagen, ohne den Gesamtkontext zu verlieren. Überhaupt ist das Buch insgesamt wie ein Nachschlagewerk aufgebaut, in dem man nach Belieben stöbern kann.
Das Buch ist fachlich extrem umfassend und kompetent, spannend und informativ, hat den ein oder anderen AHA-Effekt erzeugt und sollte eigentlich in jeder Firma und jedem Tourbus zum Bestand gehören.

Das einize Manko ist: Bislang ist es nur auf Englisch erhältlich. Aber das muss ja nicht so bleiben.