Total Recall? Not! „Abspeichern“ an analogen Pulten

Eine kleine Kolumne für die jungen Kollegen (die älteren kennen das ja noch von früher). Wie ging das, die Einstellungen an einem analogen Mischtisch zu „speichern“?

von Henning Sommer

Wer heute ein modernes Digitalmischpult bedient, speichert seine Settings in Sekundenbruchteilen auf einem USB-Stick oder in der Cloud und ruft sie bei Bedarf ohne jeden Stress wieder ab. Doch ich erinnere mich noch lebhaft an die Ära, in der all das reine Zukunftsmusik war — an die Zeit der rein analogen Mischpulte, in denen jede noch so kleine Klangentscheidung durch ein sanftes Verschieben von Fadern, ein Drehen an Potis und dem Betätigen von Schaltern realisiert wurde.

Diese Geräte hatten kein Gedächtnis außer den eigenen mechanischen Bauteilen. Drehtest du einen Regler, änderte sich der Widerstand oder die Kapazität im Signalweg, wodurch sich der Sound veränderte — und das war es. Es gab keinen Speicherchip, kein Preset, nichts. Man konnte es drehen, schieben, umschalten — und wenn man es wieder haben wollte, musste man genau wissen, wie.

Zettel und Stift als tontechnisches Werkzeug

Wie also stellte man sicher, dass der Mix für die Band beim nächsten Konzert genauso klang wie beim letzten? Ganz einfach: Zettel und Stift, ein ruhiges Händchen und jede Menge Geduld. Auf sogenannten Recall-Sheets — oft simple Papierbögen mit der schematischen Darstellung des Mischpults — wurde jede Fader-Position, jeder Equalizer-Regler, jeder Kippschalter penibel vermerkt. Manche Techniker schrieben Zahlen daneben, andere zeichneten kleine Pfeile oder markierten Winkel („10 Uhr“-Positionen waren legendär) und wieder andere notierten Details wie „Vocals +2 dB“ oder „Hall auf AUX 3 bei 50 %“.

Bei umfangreichen Bühnenproduktionen mit mehreren Bands und großen Mischpulten griff man schließlich zur Kamera — Polaroids oder später Kleinbildfotos — und hielt so einen visuellen Schnappschuss fest, bevor auch nur irgendjemand einen Fader verstellen konnte. Das Bild wurde zusammen mit dem Tourmaterial abgelegt, sodass es beim nächsten Gig als Referenz diente.

Doch das exakte Zurückdrehen blieb eine Kunst für sich. Die mechanischen Potentiometer hatten teils Toleranzen von bis zu ±10 % — was bedeutete, dass selbst bei identischen Skalenstellungen minimale Abweichungen im Klang auftreten konnten. Dazu kam die Temperaturdrift, gerade bei wechselnden Außentemperaturen und heißen Bühnenlampen, die die Elektronik erwärmten. All das konnte dafür sorgen, dass ein Mix nie exakt gleich klang, egal wie sorgfältig man alles dokumentierte.

Eigenes Pult als „Preset“

Deshalb entwickelte sich im Touring-Bereich ein pragmatischer Trick: Eine Band bekam ein eigenes, exklusives Mischpult. Keine andere Gruppe durfte daran herumschrauben, kein anderer Techniker durfte einen Knopf verstellen. So blieb der Live-Mix während der gesamten Tour unangetastet und konnte bei jedem Konzert ohne langes Zurückstellen wiederverwendet werden. Das war gewissermaßen der Luxus eines „analogen Presets“, nur dass es bedeutete, das ganze Pult zu reservieren.

Man muss sich das vorstellen: Eine Band hatte damit ihr ganz persönliches Klangwerkzeug auf Tour, eine Art klangliches Zuhause, das niemand entweihen durfte. Heute würde man sagen: ein eigenes Preset auf einem USB-Stick. Früher bedeutete das schlicht: Finger weg vom Mischpult, es gehört der Band.

Ich sehe heute noch die Techniker im Halbdunkel einer Stadthalle, wie sie über ihren Recall-Sheets brüteten, Stifte zwischen den Zähnen, während sie akribisch die letzten Änderungen an den Monitorwegen notierten. Ich höre die Gespräche: „Hast du den Effektweg für den Gitarristen dokumentiert?“ — „Warte, ich mach noch ein Foto.“

Es war mühsam. Es war fehleranfällig. Aber es hatte auch etwas Ehrliches, fast schon Handwerkliches.

Heute reicht ein Tastendruck, und alles ist wieder da. Damals dagegen war der Livesound ein fragiles Konstrukt, das man mit Bleistift und Augenmaß vor dem Vergessen schützen musste — und genau das macht den analogen Workflow im Rückblick irgendwie charmant.

Wer einen analogen Mischplatz live und in Action sehen will, dem sei folgendes Video ans Herz gelegt:

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