Seit rund 15 Jahren treibt die Frage, ob Helfer oder Techniker in der Veranstaltungsbranche als Selbstständige agieren können, Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen um. Während für freie Techniker der Weg in die legale Beschäftigung über Werkverträge, projektgebundene Aufträge und vergleichbare Modelle führt, wurde für die Helfer der Weg in die Arbeitnehmerüberlassung praktisch obligatorisch. Gute Jobs, gutes Geld, gute Perspektiven – so lautete das Versprechen an die Branche, eine soziale Absicherung inklusive. Aber klappt das wirklich im Joballtag? Eignet sich die Veranstaltungsbranche wirklich für diese Form der Beschäftigung?
Zumindest bei Helfern und Stagehands macht sich Skepsis breit und ein genauerer Blick auf die Veranstaltungsbrranche zeigt nicht nur, wo es klemmt – sondern auch, dass es neben der ANÜ auch noch andere Modelle geben kann und die Unterscheidung zwischen „Selbstständig“ und „Weisungsgebunden“ längst nicht so einfach zu sein scheint. Und über all dem steht auch noch die Frage, ob dieser Weg mit der ANÜ überhaupt das hält, was er verspricht – oder ob weiterhin die Altersarmut droht?
Morgen, halb sechs, Rheinbrücke. Vier Mann, fünf Stunden, nur Trucks!
So – oder zumindest so ähnlich – verlief der Crewcall irgendwann im letzten Jahrtausend. Was klingt wie eine verschworene Botschaft aus dem Mafiaumfeld, die möglichst keine Spuren hinterlassen sollte, war nicht mehr und auch nicht weniger als Common Sense unter Bookern, „Freien“, örtlichen Helfern und Stagehands.
Damit war alles gesagt, was wichtig war: man traf sich als Crew um kurz nach fünf an einem der bekannten Treffpunkte, einer war Fahrer und mehr oder weniger ausgeschlafen und man machte zusammen einen Job, irgendwo in diesem Land, in irgendeiner der unzähligen Hallen oder Clubs und am Ende stellte einer eine Rechnung. Nur einer, wohlgemerkt. Laden, Barriers bauen, Zäune schleppen oder Kisten pushen.
Wer sich bewährte, zuverlässig und engagiert war und „Bock hatte“, der wurde irgendwann Booker oder Crewchief. Längst nicht immer, aber immer wieder traf man solche Leute später erneut: als Techniker oder Mitglied der Tourcrew. An der richtigen Stelle, zur richtigen Zeit „Ja!“ sagen und dann auch abliefern können – das gehörte seinerzeit zu den Kernkompetenzen.
Über all dem schwebte nicht nur der Geist der Freelancer, der Roadies, der Idealisten, die für einen Job oder einen Lebensentwurf brannten – sondern auch ein äußerst zweischneidiges Schwert… Das Gespenst der Scheinselbstständigkeit ging um. Und in einem Land wie Deutschland ist es klar, dass man Geister, die man einmal ruft, nur schwer bis gar nicht wieder los wird. Vor allem, wenn diese Geister selbst auch nicht in die Rentenkasse einzahlen.
ANÜ und Leiharbeit vs. Rock’n’Roll
Der Markt, die Politik, die Verbände und die Rentenversicherungsanstalt drängten auf eine grundlegende Reform – und hatten passenderweise auch direkt die Lösung parat: analog zu all den anderen Industrien dieses Landes, wo Arbeitnehmerüberlassungen und Leiharbeit das Mittel der Wahl waren, stülpte man dieses Konzept auch der Veranstaltungsbranche über.
Was verlockend klingt, birgt dennoch auch Probleme, bringt unweigerlich Unwucht in eine hochdynamische Branche, die von – teilweise mangelhafter – Selbstorganisation, hoher Eigenmotivation und extremer Individualität lebt und getrieben wird – und so ganz augenscheinlich gar nicht in das Korsett von Leiharbeit und Arbeitnehmerüberlassung passen will. Und doch scheint die Branche überzeugt: saubere Verträge, klare Personalstrukturen, volle Crews und eine stringente Abwicklung – all das klingt gut. Zu gut? Vielleicht sogar zu gut, um wahr zu sein?
Festanstellung und die Folgen
Bei genauerem Hinsehen mischt sich Skepsis in all die Euphorie: Braucht diese Branche in Zeiten von Crewcalls mit mehr als 200 Helfern wirklich nur deshalb so viel Fußvolk, „weil inzwischen kein Techniker mehr bereit ist, den Truck zu landen“? So zumindest beschreibt ein Booker aus der Branche eine Tendenz, die er immer stärker wahrnimmt. „Bis vor ein paar Jahren war es durchaus noch üblich, dass am Ende des Tages alle zusammen angepackt haben, damit der Truck noch pünktlich wegkommt und alle zum Feierabendbier kommen“ erinnert er sich. „Ganz egal, wie groß die Produktion war.“ Ganz anders seine Wahrnehmung heute – „gerade die jungen Techniker sehen das nicht mehr als ihren Job an“ – womit sie ja auch im Grundsatz nicht falsch liegen – „aber es wird schon deutlich, dass die Kluft zwischen vermeintlich gut ausgebildeten Technikern und den einfachen Helfern an der Stelle größer geworden ist.“
Oder ist es wirklich inzwischen Usus geworden, dass Technikfirmen lieber Techniker buchen – weil ein Helfer kaum noch billiger ist, der Techniker aber weitaus flexibler im Einsatz. „Dann muss der halt auch mal Teppich kleben oder Bütecs schleppen“ ist das Argument, dass hier von einem anderen Booker aus der Branche gebracht wird – und den faden Verdacht erzeugt, dass hier entweder einer zu billig oder einer zu teuer ist. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere bei kleineren Produktionen schneller auffällt, wie krass das Missverhältnis inzwischen geworden ist. „Am Ende glaubt mir kein Kunde, dass ich für einen kleinen Job mit drei oder vier Technikern jetzt auch noch Helfer auf die Rechnung setze, die nur noch ein paar Euro günstiger als der Techniker sind.“
Und wie kann es andererseits sein, dass es billiger, einfacher und effektiver ist, zwanzig Helfer Zäune schleppen zu lassen, anstatt einen versierten Staplerfahrer mit Gerät zu buchen, der diesen Job mit vier Kollegen in der halben Zeit und ohne Schweißvergießen erledigt?
Inzwischen schwappen nicht nur aus dem Osten Deutschlands immer wieder Berichte herein, in denen es um die prekären Strukturen geht, die sich inzwischen etabliert zu haben scheinen: Ja, Helfer sind zu billig geworden. Jedenfalls die, die von ANÜ eventuell noch nie etwas gehört haben.
ANÜ klappt nur, wenn alle mitmachen
Denn aufgepasst, Helfer ist nicht gleich Helfer: Diejenigen, die in unserem obigen Beispiel die Zäune schleppen, wurden unter Umständen gar nicht über Agenturen und Arbeitnehmerüberlassungen gebucht – sondern vielleicht sind „es die, die über zwielichtige Internetportale buchbar sind“ verrät uns ein Booker – der an dieser Stelle selbstverständlich nicht seinen Namen nennen möchte. „Es klingt ja für die Arbeitssuchenden auch alles ganz geil – du brauchst keine Vorkenntnisse, man verspricht dir gutes Geld und wer träumt nicht davon, bei irgendeinem angesagten Act zu arbeiten. Total verlockend – nur die Realität sieht anders aus.
Ganz oft wechselt bei solchen Jobs Bargeld den Besitzer, die Stundenlöhne sind unterirdisch und an Stelle von Glitzer und Glamour schleppen diese armen Schweine dann Zäune für nen Zehner, wuchten Schutzboden und werden dafür nicht mal im mindesten mit trinken oder essen versorgt.
Arbeitsschutz? Fehlanzeige! Versicherung oder Sozialabgaben? Im Leben nicht! Wenn wir ehrlich sind, dann sind solche „Arbeitsverhältnisse“ inzwischen schlimmer als in den 80ern – und der Kostendruck noch höher. Der als fadenscheinige Rechtfertigung herhalten muss – weil in der Regel noch eine Agentur, noch ein Örtlicher oder noch ein Sub meint, ein Stück vom Kuchen abhaben zu müssen.“
Getoppt werden diese Strukturen tatsächlich eigentlich nur noch von den Paketboten mit einem Sumpf aus Subunternehmern – und der Messebaubranche: Crews, die mit 40 Mann im Reisebus über die Grenze kommen, endlose Schichten abreißen, aus der Dose leben und im für sie besten Fall schäbige Schlafplätze im Hostel haben, sind inzwischen keine Ausnahme mehr – sondern die traurige Regel.
Dabei war das Privileg der Freizügigkeit in der EU eigentlich als genau solches geplant: die freie Wahl des Arbeitsplatzes, keine Kleinstaatlichkeit mit Beschränkungen und Limits. Und trotzdem hat auch hier der Modus Einzug gehalten, der irgendwann in der Marketingcampagne eines Elektronikhändlers seinen Ritterschlag erhielt: „Geiz ist geil“. Und so lange es eben einfach noch mal billiger ist, eine Crew für ein Handgeld aus dem Ausland zu holen und so lange die Margen dadurch noch eine Spur höher ausfallen, wird auch kein Budget steigen.
Standortwechsel – irgendwann im August, irgendwo in Deutschland, irgendwo zwischen Festival und irgendeiner Messe
Wir treffen Adalbert – der fast schon klischeehaft den Typ Mensch verkörpert, der heute als Helfer via Arbeitnehmerüberlassung in der Veranstaltungsbranche arbeitet. Irgendwann mal studiert, dann verschiedene Jobs und die Selbstständigkeit ausprobiert und irgendwann von einem Bekannten beim Bier gefragt worden, ob er sich vorstellen könnte, als Helfer bei Veranstaltungen zu arbeiten. Ganz legal, angestellt, versichert und fair bezahlt. „Wenn wir ehrlich sind, dann ist diese Branche voll von Typen wie mir“ ist seine kurze, aber prägnante Zusammenfassung.
„Keiner von uns hat das gelernt, jeder von uns hat irgendwie mit mehr oder weniger Erfolg etwas anderes gemacht. Den Unterschied macht die Motivation – willst du den Job machen oder ist es wieder nur irgendwas auf Zeit. Denn sind wir mal ehrlich: wenn du hier in Deutschland keine Ausbildung oder kein Studium nachweisen kannst, dann wird es ab einem gewissen Alter ausgesprochen schwer, den Lebensunterhalt zu verdienen“.
Für Adalbert bedeutet das, als Angestellter bei einer Zeitarbeitsfirma die Benefits mitzunehmen, die möglich sind. „Crewchief oder Fahrer sind die Optionen, die du hast, um deinen Stundenlohn etwas aufzubessern. Denn wirkliche Angebote für eine Qualifizierung oder Weiterbildung sind hier Fehlanzeige.“ Der Weg dahin steht dafür aber eigentlich jedem offen, der mehr als den branchenüblichen, gesetzlichen Mindestlohn bekommen will. „Kümmer dich drum, sei zuverlässig und motiviert“.
Doch genau hier teilt sich der Weg – denn das Problem liegt auf beiden Seiten des Jobs, beim Angebot und bei der Nachfrage. „Wie überall hast du Leute, die Bock haben, die etwas bewegen wollen und Leute, denen das egal ist“ so seine Einschätzung. „Die Branche fordert immer mehr Personal, die Crewcalls werden immer größer – und diese Nachfrage kannst du nicht mit A-Crews bedienen, bei denen alle wissen, was sie tun und es auch gerne und mit Spaß an der Sache tun.
Also füllen die Anbieter die Crews auf, was zwangsweise zu Lasten der Qualität geht. Hier bei uns gibt es zum Beispiel sehr viele Studenten, die meisten aus dem Ausland – und da ist ganz klar: nach drei Jahren sind die weg. Die haben meist auch nur Teilzeitverträge, finanzieren ihr Studium damit und haben von vorne hinein kein Interesse, in der Branche zu bleiben – zumindest die wenigsten davon.“
Falsch verstanden will Adalbert das nicht wissen – „die Kollegen machen ihren Job gut, aber es geht eben nur um die simpelsten Hilfsjobs. Zäune, Schutzboden, pushen, solche Sachen eben.“
Schwarze Schafe trifft man vor allem in diesem Umfeld häufig an – so seine Beobachtung. „Die Firma, für die ich arbeite, ist da erfreulicherweise sehr korrekt. Solche Sachen wie Bezahlung unter Mindestlohn, unmenschliche Arbeitszeiten oder fehlende PSA gibt es bei uns nicht – und auch die völligen Rookies werden nicht ins kalte Wasser geschmissen. Wer vorher nur Spargel gestochen oder Gemüse geerntet hat, der kommt in eine Crew mit Kollegen, die ihn an die Hand nehmen und ihnen den Job erklären können – was letztlich auch ein bisschen Eigennutz beinhaltet, schließlich will ja auch keiner von uns den Job des anderen mitmachen müssen.“ Oder – auch das kommt vor, „es wird gefragt, ob das nun wirklich der richtige Job für den Betreffenden wäre.“
Woher kommen die schwarzen Schafe?
Aber woher kommen dann diese schwarzen Schafe? Crews, die plötzlich auftauchen, Gesichter, die man immer wieder nur kurz sieht und die genauso schnell wieder verschwinden?
Das haben wir Burkhard gefragt, eines jener wirklichen Urgesteine der Branche. In den 90ern mit einer Crew aus Enthusiasten und Idealisten gestartet. Mit Menschen, die Bock auf diesen Job hatten und die diesen Livestyle leben wollten. „Moderne Tagelöhner“ – wie er es nennt, ohne dass diese Bezeichnung abwertend klingen soll. Jobs gemacht, eine Rechnung geschrieben und das Geld verteilt. „Das ging irgendwie immer, mal besser, mal schlechter. Wenn das Finanzamt kam, dann eben schlechter – aber immer wieder weiter. Um Altersvorsorge, Krankenkasse oder sowas haben wir uns damals kaum Gedanken gemacht – man war irgendwie studentisch versichert und gefragt wurde selten“, erinnert er sich.
„Viele von uns – mich eingeschlossen – sind immer noch in dieser Branche, manche inzwischen als Techniker, andere weiter als Helfer in einer Arbeitnehmerüberlassung oder sogar als Festangestellte in einer der Locations, in der sie damals regelmäßig auf- oder abgebaut haben. Liegt wohl daran, dass man nur schwer aus dieser Branche rauskommt“, resümiert er. Und heute?
„Ich bin einer von denen, die nicht davon weggekommen sind“, so seine Einschätzung. „Aber das Arbeitsumfeld hat sich komplett gewandelt. Als das mit den Arbeitnehmerüberlassungen los ging, haben viele von uns noch nach Wegen gesucht, das zu umgehen. Wir kannten das nicht anders, wir wollten das auch nicht anders. Plötzlich Unternehmer sein passt so gar nicht in dieses Bild“ erinnert er sich – und hat dennoch irgendwann seinen Weg eingeschlagen und eine Crewcompany gegründet, die professionell und legal Arbeitskräfte für Veranstaltungen zur Verfügung stellt. Mit all den Konsequenzen und neuen Anforderungen. „Wir standen plötzlich vor der Situation, dass der bisherige Weg, den Lebensunterhalt zu verdienen, so nicht mehr möglich sein sollte – und der Druck war deutlich spürbar. Und irgendwie spielen da ja auch persönliche Motive eine Rolle. Du kennst die Leute, du kennst die Branch, hast eine Menge Jobs zusammen gemacht und viel zusammen erlebt – das gibst du nicht so schnell auf und kannst es auch nicht aufgeben – weil wovon willst du plötzlich leben?“ fragt er sich
„Die bürokratischen Hürden sind immens, du brauchst plötzlich Personal im Büro, überhaupt erst mal ein Büro und eine Infrastruktur. Was sich bislang irgendwie selbst organisiert hatte, muss jetzt organisiert werden. Und nicht zuletzt fehlt es nicht nur am Anfang, sondern bis heute an allen Ecken und Enden an Unterstützung“ setzt er zu seiner Kritik an. „All die Regulatorien, die in der Geschäftsbeziehung zwischen einem Industriebetrieb und einer Arbeitnehmerüberlassung gut und richtig sein mögen, funktionieren hier bei uns nicht.“
Harter Tobak – aber es wird schnell klar, worauf er hinauswill. „In den seltensten Fällen werden wir als Helfer so eingekauft, wie das in der Industrie der Fall ist. Equal Pay ist nicht umsetzbar, denn wer ist denn die Referenz? Fest angestellte Helfer bei Technikbuden und Verleihern? Fehlanzeige – stattdessen gehen verschiedene Technikfirmen inzwischen den Weg, eigene Crewfirmen aufzumachen und sich selbst Arbeitnehmer zu überlassen.
Da schlägt dann aber wieder ein anderes Problem zu: Was passiert, wenn du zu oft den Überlassungsvertrag verlängert hast und die Statuten nun eine Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis vorsehen? Kündigung ist dann die einzige Option – denn an die Konkurrenz wird man seine Leute sicher nicht verleihen wollen“. Da besteht Handlungsbedarf – und da wird Burkhard unvermittelt sehr unverblümt: „Wir wollen kontrolliert werden!“
Fragende Gesichter – aber er wird schnell konkret: „Wenn du dich dazu entschließt, eine Arbeitnehmerüberlassung aufzumachen, dann stehst du erst mal vor der Wand. Das Verfahren ist umfangreich, bis zur Genehmigung dauert es und so wirklich Unterstützung bekommst du von den Behörden auch nicht.
Wie kann das sein – die Forderung nach geregelten Verhältnissen steht im Raum und keiner sagt dir, wie du das machen sollst? Was bleibt dir also weiter übrig, als dich selbst darum zu kümmern, Infos einzuholen, weitergeschickt zu werden, in der Sackgasse anzukommen und wieder von vorne anzufangen – bis du alles beieinander hast.
Und dann ist plötzlich alles easy – so lange du deine elektronischen Erklärungen pünktlich und plausibel ablieferst, nicht unangenehm auffällst und einen Steuerberater hast, kommt keine Institution auf die Idee, dich zu prüfen.
Den LKW-Fahrern und den Sicherheitsunternehmen stehen sie ständig auf der Matte – aber bei uns? Nichts.
Und das leistet natürlich den windigen Kollegen Vorschub – immer wieder triffst du auf Crews, die genau so schnell auftauchen, wie sie wieder verschwinden. Und du fragst dich – wie machen die das?“ An der Stelle kann er natürlich nur mutmaßen – aber natürlich kennt er die Branche und ihre Mechanismen lange und gut.
„Wenn gerade im Sommer immens viele Leute gebraucht werden, dann schießen diese Crews wie Pilze aus dem Boden. Der Ostblock ist ganz weit vorne, denn dort ist das Lohnniveau noch ein ganz anderes. Mittlerweile siehst du diese Crews aber nicht nur in den angrenzenden Regionen, sondern überall.“
Aber auch deutsche Crews agieren nach demselben Muster – undurchsichtige Verträge, Lohndumping, keine Sozialabgaben, Kettenrechnungen. „Diese Firmen poppen auf, bieten zu Preisen an, die wir einfach nicht halten können und fluten die Branche mit billigen Arbeitskräften – und am Ende der Saison verschwinden sie genau so schnell, wie sie gekommen sind.“
Jedem Booker sollte klar sein: Hier stimmt was nicht
Bis da mal eine Nachfrage kommt oder Unterlagen gefordert werden, ist die „Firma“ längst Geschichte. „Und diese Spirale dreht sich immer schneller“ stellt er nüchtern fest, denn zum einen steigt der Bedarf an Helfern stetig, die Produktionen werden größer und komplexer, die schiere Zahl an Veranstaltungen nimmt immer weiter zu – „und im gleichen Umfang reichen die Booker aber auch den Kostendruck an uns weiter. Klar ist ein Angebot, dass rund 50 Prozent unter dem realistischen Preis für die Dienstleistung liegt, verlockend. Aber jedem Booker muss doch klar sein, dass da was nicht stimmen kann?“ wundert er sich.
Verantwortung übernehmen könnten und sollten da seiner Meinung nach alle Beteiligten – Auftraggeber, Auftragnehmer und eben gerne die Behörden. „Wir stehen ja untereinander in Kontakt, sprechen miteinander und uns als seriös aufgestellten Crewfirmen ist klar, dass der Kunde auch – und immer stärker – auf den Preis schaut. Aber umgekehrt muss dem Kunden auch klar sein, dass Anspruch einen Preis hat – und da könnte deren Hebel ansetzen.
Verständlich, dass man bei einer Sitecrew nicht unbedingt den gleichen Maßstab anlegt, wie bei einer Truppe erfahrener Helfer, die das Business kennen, wissen was zu tun ist und damit praktisch autark den Technikern zuarbeiten können. Ohne Sprachbarriere, ohne große Notwendigkeit, erst mal die Basics zu erklären.“
Denn all das – da sind sich alle einig – macht nicht nur den Job entspannter und effektiver, alle kommen früher nach Hause – „es macht ihn auch sicherer! Wir arbeiten im Team, handlen schweres, empfindliches und komplexes Material, schlagen in kurzer Zeit Tonnen um und wollen am Ende auch gesund nach Hause – da müssen Abläufe klar und verständlich sein und auch verstanden werden!“
Helfer vs. Assistent?
Alles nochmal auf Anfang – wir gehen nochmal dahin zurück, wo die Diskussion um die selbstständigen Helfer eigentlich begonnen hat. Denn per Definition kann ein Helfer seine Tätigkeit nicht selbstständig verrichten, sondern ist weisungsgebunden. Mithin kann er also auch nicht selbstständig am Markt agieren und ist somit prädestiniert für das sozialversicherungspflichtige Angestelltenverhältnis. Aber vielleicht ist das ja auch nur eine Frage der Definition?
Da, wo die wohl geradlinigsten Menschen des Landes leben und arbeiten, scheint diese Regelung zumindest Nischen zu haben, die es nur zu finden galt. Chris und Dirk bezeichnen sich selbst als „Technische Assistenten“ und leben und arbeiten seit einer beträchtlichen Zeit mit großem Erfolg auch ohne Arbeitnehmerüberlassung in der Branche.
Als die ANÜ aufkam, haben sie einach weitergemacht wie bisher – und auch überhaupt kein schlechtes Gewissen deswegen. Denn sie denken an ihre Altersvorsorge, wie sie erzählen – und hebeln damit das gewichtigste Argument aus, dass die Rentenversicherung gegen selbstständiges arbeiten ins Feld führt: Die Altersarmut von Menschen, die daran während ihrer aktiven Zeit nicht denken. Oder aufgrund schlechter Bezahlung gar nicht daran denken können.
Auch hier trifft die Beschreibung „klassischer Quereinsteiger“ perfekt, denn beide haben ursprünglich ganz andere Hintergründe – Studium, Wirtschaft, Handwerk, ausgedehnte Reisen und irgendwann plötzlich die Frage, „ob man ein Auto und morgen Zeit hätte?“ Und wie so oft blieb es dann dabei und die Menschen in der Branche hängen. „Das war so eine Theater auf Gastspieltour, die brauchten Hilfe beim Ein- und Ausladen, jemanden, der die Bühne mit einrichtete, ein paar Lampen verkabelte und so weiter“ erinnert er sich. Und am Ende des Tages kam die Frage auf, „ob das wohl morgen auch in der Nachbarstadt möglich wäre“. Nüchtern betrachtet also genau das, was auch ein Helfer über eine ANÜ tun würde.
„Diese Branche ist ein echtes Peoples Business“ bringen sie es auf den Punkt. „Passen die Leute, ist der Job egal, es reißt dich mit und lässt dich nicht mehr los“ – und das seit vielen Jahren. Die Frage nach einer Festanstellung stellte sich dennoch in all den Jahren nicht ein einziges Mal. „Es ist meine persönliche Freiheit, ob ich einen Job annehme oder ablehne“ so das Credo. Natürlich erfordert das Verantwortungsbewusstsein – „aber ohne das geht’s im Leben eben nicht. Ich muss wissen, was ich zum Leben brauche, ich muss etwas für später zurücklegen und ein paar Reserven haben – aber wer kann mir das denn sagen oder vorschreiben?“
Doch die Idee geht noch weiter – und formuliert dabei gleichzeitig auch noch eine deutliche Kritik: „Keine Lust, mich an der Arbeit von Freunden oder Kollegen zu bereichern“ ist das Fundament, auf dem ein beachtliches Netzwerk mit zeitweise mehr als einhundert Teilnehmern entstanden ist. Vor dem Hintergrund „gute Arbeit abzuliefern, sich gegenseitig das Leben nicht schwer zu machen und mit dem Job sein Auskommen zu haben“ beschreiben die beiden die Idee dahinter. „Am Ende des Tages geht es doch darum, dass Jobs da sind – und die wollen erledigt werden. Wir haben nie aktiv ein Netzwerk aufgebaut – sondern das Netzwerk ist um uns herum entstanden.
Man arbeitet zusammen, tauscht Kontakte aus, lernt die Stärken und Schwächen der Kollegen kennen und irgendwann kommt zum ersten Mal der Moment, wo du einen Job nicht annehmen kannst. Aber du kennst jemanden, der passt zu der Anforderung und hat womöglich Zeit. Also gibst du die Anfrage weiter und der Job wird gemacht. Beim nächsten Mal läuft es andersrum und du bekommst den Anruf von einem Kollegen, der vielleicht schon ausgelastet ist.“ Für diesen Anruf eine Marge einzukalkulieren oder aufzuschlagen, das käme den beiden nicht in den Sinn. Und den übrigen Teilnehmenden an diesem Netzwerk genausowenig.
Genauso unsinnig finden sie die Pauschalisierung, ihre Tätigkeit als prinzipiell nicht selbstständig möglich einzustufen. „Stichhaltige Kriterien dafür zu finden, dürfte faktisch unmöglich sein“ geben sie zu bedenken, „denn realistisch betrachtet sind wir – genau wie ein Techniker – weder in der Wahl des Ortes, noch der Zeit oder irgendwelcher anderer Rahmenbedingungen frei.“ Auch die inzwischen üblichen „Umwege“ über Zeitkonten, Werkverträge oder andere Beschäftigungsmodelle sehen sie kritisch – denn auch diese führen am Ende nur zu einer Art Festanstellung „um der Festanstellung wegen“.
Zur Erinnerung – Anfang der 2010er Jahre rumorte es urplötzlich in der Branche. „Weisungsgebundene Tätigkeiten“ waren plötzlich mit dem Makel der Scheinselbstständigkeit behaftet und das zu Anfang kursierende Regelwerk bot – zugegebenermaßen – mit seinen zehn Kriterien noch reichlich Schlupflöcher. Wohlgemerkt für Techniker, weit weniger für Helfer. „Wir Helfer waren ja schon immer weisungsgebunden“, so Dirk. Nicht ohne spitz anzumerken, dass das in seinen Augen gleichermaßen für den Techniker gilt. „Der bekommt seine Anweisung von der Produktion, wir vom Techniker“ fasst er zusammen. So oder so ähnlich muss dann wohl auch die Idee gewachsen sein, sich Technischer Assistent zu nennen. „Klingt auch gleich ein bisschen besser, oder?“
Die inzwischen geänderte Einschätzung nach Scheinselbstständigkeit oder Selbstständigkeit mit einer Gesamtschau auf den Job sehen Dirk und Chris ebenfalls gelassen. „Könnten sie diese Arbeit auch im Rahmen einer angestellten Tätigkeit ausüben?“ lautet die Kernfrage – und da sind sie sich sicher: „Das gilt für Techniker und für den Technischen Assistenten“ so ihr Fazit.
Klingt da womöglich auch ein bisschen Kritik durch?
„Absolut!“ bekommen wir da zu hören. Außer viel Tamtam und Unsicherheit hat das der Branche nichts gebracht“ sind sie sich einig. „Ein paar wenige machen sich die Taschen voll, die meisten versuchen, fair zu sein und wir schwimmen mit unserer Idee so ein bisschen gegen den Strom. Vom erklärten Ziel – nämlich stabilen Einkommensverhältnissen und einer gesicherten Altersvorsorge sind wir dabei aber immer noch meilenweit entfernt. Wer das auf Steuerkarte sein Leben lang macht, der wird dennoch in die Altersarmut laufen“ ist sich Dirk sicher.
Umso unverständlicher also, dass der Weg über eine ANÜ oder Zeitarbeitsfirma auch weiterhin als der einzig gangbare dargestellt wird. Denn selbst mit dem angehobenen Mindestlohn im kommenden Jahr – dann bei 13,90 Euro pro Stunde – zahlt der Zeitarbeiter zwar in die Renten- und Sozialversicherung ein, steht aber am Ende des Berufslebens aller Wahrscheinlichkeit vor der Tatsache, aufstocken oder dazuverdienen zu müssen.
Und wie groß ist nun diese Nische?
Größer, als man wahrscheinlich zunächst glauben würde. „Es hat sich schnell rumgesprochen, dass es dieses „Netzwerk“ gibt“, berichten beide – und zum Kundenkreis gehören Theater, Schauspielhäuser und Locations genau so wie die bekannten Technikdienstleister und Tourneeveranstalter im Land. „Genau betrachtet bieten wir ja auch genau die gleiche Dienstleistung an, die eine Arbeitnehmerüberlassung auch anbietet. Womöglich sind wir hi und da ein wenig flexibler. Oder die Booker verlassen sich darauf, dass jemand kommt, der den Job auch kennt und weiß, was gefragt ist. Dafür ist vielleicht der Aufwand in der Buchhaltung ein bisschen größer – aber am Ende bleibt für alle von uns mehr hängen.“ Dass der eine Weg nun nach dem Willen der Politik und der Rentenkassen legal ist und der andere nicht, bleibt dennoch schwer nachvollziehbar.
Eine Feststellung, die gewisse Sprengkraft birgt – denn verfolgt man aktuell die Presse, dann fällt auf, dass beileibe nicht nur in der Veranstaltungsbranche, bei Hands und freien Technikern, diese Unsicherheiten hinsichtlich das Status bestehen. Im Februar 2025 zum Beispiel berichtete der Spiegel in einem Beitrag über die Probleme, mit denen sich freie Autoren, Musikschullehrer, Übungsleiter oder Coaches aktuell konfrontiert sehen. Immer öfter, so der Artikel, sehen sich aktuell Freischaffende, Soloselbstständige und deren Auftraggeber mit einer rückwirkenden Einstufung als Scheinselbstständige konfrontiert – mit allen daraus resultierenden Auswirkungen: Ungültigkeit der Verträge, Rückforderung der Bezahlung und Nachforderung der Sozialabgaben.
Und die Anderen?
Verständlicherweise kommt da die Frage auf, ob das nicht Ärger gibt – nicht untereinander, sondern mit den Kollegen, die den Weg der Arbeitnehmerüberlassung gegangen sind. „Klares Nein“ an dieser Stelle. „Warum auch? In den heißen Monaten, wenn die Festivals und großen Touren laufen, gibt es mehr als genug Jobs, man begegnet sich also fast schon zwangsweise und arbeitet zusammen. Und darüber hinaus sind viele von uns auch über die Jahre mit Einrichtungen oder Firmen verbunden – da sind Geschäftsbeziehungen gewachsen. Man nimmt sich also nichts weg – man ergänzt sich viel mehr“ so die Einschätzung der beiden.
Eine gewisse Skepsis – oder wenigstens ein kritischer Blick – bleibt aber dennoch bestehen, und an der Stelle kommt noch einmal Burkhard zu Wort. „Wir kennen uns am Ende alle, die Branche ist noch immer so klein, dass wir wahrscheinlich irgendwann alle schon mal irgendwo einen Job zusammen gemacht haben. Und letztlich muss jeder für sich entscheiden, ob er den Weg einer Festanstellung einschlägt oder weiter seinen Lebensunterhalt mit einer selbstständigen Tätigkeit erwirtschaftet. Die Vor- und Nachteile liegen auf der Hand: Absicherung im Krankheitsfall, relativ geregelte Arbeitszeiten – auch wenn da bei der Ausgestaltung mitunter noch immer Kreativität gefordert ist – Urlaubsanspruch und am Ende natürlich auch der Beitrag in die Rentenkasse. Natürlich fließt all das in den Preis ein, den ich am Markt aufrufen muss, um das auch meinen Angestellten bieten zu können. Dem gegenüber steht eben die unternehmerische Freiheit – nicht jeden Job annehmen zu müssen, über den Stunden- oder Tagessatz frei verhandeln zu können aber eben am Ende des Tages auch selbst für eine Krankenversicherung, eine Sozialversicherung und die unvermeidbaren Rücklagen Sorge zu tragen.“
Was an der Stelle auch klar wird – die Garantie einer sozialen Absicherung muss Geld kosten! „Wer glaubt, dass sich das mit ein paar Euro on Top auf den Tagessatz eines Angestellten Helfers erschlagen lässt, der hat zu romantische Vorstellungen“ präzisiert Burkhard nochmal. Von dem, was er dem Kunden oder der Agentur in Rechnung stellt, kommen rund 50 Prozent am Ende beim angestellten Helfer an – so seine ungefähre Schätzung. „Klingt auf den ersten Blick nach Halsabschneiderei – und diesen Vorwurf habe ich auch schon gehört. Tatsächlich steckt dahinter aber auch die Verantwortung für meine Leute, die ich auch bezahlen muss, wenn es keine Jobs gibt, im Krankheitsfall muss ich den Lohn weiterbezahlen, bis die Ersatzleistungen greifen, im Urlaub läuft das Gehalt weiter und nicht zuletzt arbeiten hier auch Leute, die nicht direkt an der Wertschöpfung beteiligt sind, weil sie sich um Büro, Verwaltung und Finanzen kümmern.“
Summiert man all das auf, dann wird klar, dass die Kluft zwischen dem angestellten Helfer und dem Techniker keineswegs so groß ist, wie es früher mal der Fall war. „Damals, als wir angefangen haben, gab es in der Regel einen Minimaltarif von vier bis sechs Stunden für einen Helfer, Spritgeld war unüblich und am Ende ist man da mit einem Hunderter rausgegangen. Heute nähern sich die ehrlichen Tagessätze für Helfer tatsächlich stark an die Tagessätze der Techniker an – und ab und an passiert es sogar, dass wir für einen Helfer gleich viel oder sogar mehr berechnen, als mancher Techniker kostet – der sich in dem Moment eben schlecht verkauft hat. An der Stelle verstehe ich dann auch wieder die Booker oder Agenturen, die sowas kritisch hinterfragen.“
Und noch etwas ist klar geworden – und da sind sich alle einig. „Reich wird keiner in dem Business, nicht als Angestellter einer Arbeitnehmerüberlassung, nicht als Technischer Assistent. Im Vergleich zu früher hat sich aber die Motivation deutlich verändert. Während man bei den einen noch immer die Enthusiasten findet, wird es für die anderen mehr und mehr zum Job – der eben den Lebensunterhalt oder auch nur das Studium sichern muss.
Autor: Sebastian Puchtler





