Rock’n’Roll ist kein Lehnstuhl – aber auch kein Opferaltar

Autor: Max Geisenhainer

Die glamouröse Fassade der Eventbranche verdeckt eine oft erschreckende Realität: Viele Menschen die hier arbeiten, kämpfen mit psychischen und physischen Problemen die mitunter schwerwiegende Folgen haben. Immer am Start sein, den Zeitplan fest im Blick und stets Topleistungen erbringen – „The Show must go on!“ Und das meist ohne Rücksicht auf Verluste. Die eigene Gesundheit weicht oft einem vermeintlich höheren Ziel und am Ende bedankt man sich noch freundlich für den sehr knapp bemessenen Tagessatz.

Dieser Artikel beleuchtet aus Sicht des Verfassers die schwerwiegendsten Aspekte dieses umfassenden und weitreichenden Themas aus eigenen Erfahrungen heraus. Meinungen können abweichen und bieten Raum für Diskurs – dieser ist ausdrücklich erwünscht!

Wenn die Seele unter dem Druck leidet

Für manche mag es übersensibles Gerede sein, für andere ist es bittere Realität: Fragt man nach dem Antrieb für einen Job in der Eventbranche, lautet die Antwort meist: Leidenschaft!
 Doch was ist, wenn eben diese Leidenschaft krank macht ?

Kaum eine Branche besteht aus so vielen Gewerbetreibenden, die oft auch noch soloselbstständig sind. Was das mit sich bringt, wird häufig verschwiegen oder gekonnt ignoriert. Denn genau diese Leidenschaft führt oft zu großer Opferbereitschaft: „Das gehört halt dazu“, heißt es dann mitunter lapidar. Und genau da liegt das Problem: Denn das sollte es nicht!

Wer kennt es nicht, das Klischee vom „Grumpy Soundguy“ mit Kaffee, Kippe und zur Faust geballtem Gesicht oder vom immer gestresst reagierenden Stagehand? Wir alle lachen über die kleinen Witze, die man darüber macht. Doch genau genommen sind diese Charaktere ein Sinnbild für eine ganze Reihe von Problemen, die in dieser Branche immer weiter ignoriert werden.

Auch ich war einer von denen, die die Gefahr für die eigene körperliche und geistige Gesundheit leichtfertig ignorieren. Und das habe ich sehr teuer bezahlt.

Die wilde Freiheit, die diese Branche auf den ersten Blick verspricht, hat mich damals komplett übermannt. Ich war der coolste und nichts konnte mir was anhaben. Ich erfuhr Bestätigung und fand meinen Selbstwert, denn ich war gut in dem, was ich da gemacht habe. Es gab keine Show, die ich nicht mischen wollte. Zur Not auch nur für Zugang zum Catering. Welchen Stress das in mir ausgelöst hat, habe ich lange Zeit gar nicht bemerkt. Als dann noch private Probleme dazu kamen, flüchtete ich mich noch mehr in den Job. Alkohol und Nikotin wurden zum Mittel der Wahl, Schlaf war reine Zeitverschwendung und die Depressionen, die ich anfing zu entwickeln, waren „einfach nur mal ein schlechter Tag“.

So führte eines zum anderen und ich rutschte tief ins Burnout und in Depressionen, mit denen ich auch heute noch zu kämpfen habe. Ein paar Jahre harter Arbeit und einen großen Wandel später sitze ich nun hier und verfasse diesen Artikel.

 Ich bin immer noch Teil der Branche und liebe meinen Job hinterm Pult. Vor allem weil ich weiß, dass er mich jetzt nicht mehr krank macht.

Ich möchte nicht einfach stumpf den Zeigefinger erheben oder belehren.
 In einer Branche, in der die Mitarbeitenden so einer großen Gefahr für körperliche und psychische Probleme ausgesetzt sind, muss mehr darüber gesprochen und aufgeklärt werden. Es muss aufhören, dass Themen wie Burnout, Depressionen und körperlicher Verfall tabuisiert und totgeschwiegen werden.

Schauen wir uns die häufigsten Ursachen für Burnout einmal an:

Anhaltender, hoher Zeitdruck: Knappe Deadlines, spontan auftretende Probleme, die sofort gelöst werden müssen, anspruchsvolles Multitasking und kurzfristige Planänderungen führen zu konstantem Stress und Überlastung.

Lange und unregelmäßige Arbeitszeiten: Lange Arbeitstage bis spät in die Nacht, an Wochenenden und Feiertagen sind an der Tagesordnung. Und irgendwie scheinen das die meisten stillschweigend hinzunehmen. Daraus resultiert jedoch ständige Übermüdung, regelmäßige körperliche Überlastung und das Verpassen von sozialer Teilhabe. Zeit zuhause, Familienfeiern und Geburtstage von Freunden und Familie fallen oft dem nächsten Event oder der nächsten Tour zum Opfer. Dies führt zwar (hoffentlich) nicht direkt zur Ausgrenzung, aber man verliert den Kontakt zum sozialen Umfeld. Auf Dauer kann dies nicht nur zu sogenannter FOMO (Fear of Missing Out) führen, sondern auch zu einem Gefühl sozialer Vereinsamung.

Hohe Erwartungshaltung: Kund:innen und Auftraggeber:innen stellen oft hohe Erwartungen an die Qualität und den Erfolg der geplanten Veranstaltung. Genauso spielt auch ein sehr hoher Eigenanspruch eine große Rolle. Man muss liefern. Und ein guter Job kann Folgeaufträge sichern. Die ständige Jagd nach größeren und beeindruckenderen Produktionen steigert die Erwartungshaltung der Kund:innen und damit den Leistungsdruck. Das kann zu einer unglücklichen Verkettung führen, die Schritt für Schritt immer mehr Stress und Überlastung mit sich bringt.

Hand aufs Herz: Wer fühlt sich ein wenig ertappt?

Betrachtet man die genannten Punkte, wird man feststellen, dass sie wie Zahnräder ineinandergreifen. Die vielen langen und anstrengenden Arbeitstage überlasten uns physisch wie psychisch, während gleichzeitig Zeit und Möglichkeiten für ausreichend Schlaf und Ausgleich rar gesät sind. Genau diese Verknüpfungen machen die Problematik rund um die psychische und physische Gesundheit in unserer Branche so komplex.

Wie durchbricht man diese Verkettungen?

Zuerst muss man festhalten, dass viele der genannten Probleme strukturell im Selbstbild der Branche verankert sind. Oft nehmen wir die langen und harten Tage einfach hin und fühlen uns geradezu gedrängt, Aufträge anzunehmen, für die wir mal wieder unsere private soziale Teilhabe opfern müssen. „Rock ’n’ Roll ist kein Lehnstuhl.“ Stimmt. Aber er ist auch kein Opferaltar.

Burnout früh erkennen

Zu den häufigsten Anzeichen für Burnout zählen anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung, eine Abnahme der Konzentrationsfähigkeit und andauernde Motivationslosigkeit.

Letztere ist gerade bei einer meist durch Leidenschaft angetriebenen Tätigkeit ein klarer Ruf zur Vorsicht. Klar, manchmal hat man einfach keine große Lust auf den Job. Das geht uns sicher allen mal so. Wenn das aber zum neuen Normalfall wird und Lust und Laune quasi dauerhaft gen Null gehen, sollte uns das spätestens stutzig machen.

Das Gute ist, dass diese Anzeichen recht früh erkennbar sein können, wodurch ein rechtzeitiges Gegensteuern meist gut möglich ist. Machen mir sonst mit Leidenschaft gern ausgeübte Tätigkeiten immer weniger Spaß oder fangen mich sogar an zu nerven? Weicht die übliche gute Laune immer öfter einem angestrengten Blick? Nehme ich öfter den Stress vom Job mit nach Hause und schaffe es nicht abzuschalten?

Das sind klare Hinweise darauf, dass etwas nicht ganz so läuft, wie es sollte.

Tipps zur Prävention

Aufgaben abgeben oder teilen: Auch wenn es oft vermeintlich schneller geht, eine Aufgabe selbst zu erledigen, statt sie erst jemandem zu erklären – ist es wirklich so wichtig, dass ICH das jetzt mache, oder kann ich es an eine andere fähige Person übergeben? Oder was ist, wenn man die Arbeit aufteilt? Klingt simpel, ist es aber oft nicht. Wer springt schon gern über seinen Schatten?

Lernen „Nein“ zu sagen: Muss ich dieses Projekt wirklich auch noch übernehmen? Ist es wirklich nötig, diese Produktion auch noch zu betreuen, obwohl ich dann schon wieder einen Geburtstag oder eine Familienfeier dafür sausen lassen muss? Der große Durchbruch kommt auch nicht früher, wenn man jede Dorfkirmes im Umkreis betreut.

Bewusst Pause machen: Wann war der letzte Urlaub, in dem man wirklich mal Urlaub gemacht hat? Das Handy in der Tasche gelassen, den Laptop am besten gar nicht erst mit eingepackt und den Job einfach mal Job sein lassen. Regelmäßige Pausen, echter Urlaub und der daraus gewonnene zwischenzeitliche Abstand zum Job sind nicht nur angenehm, sondern vor allem eines: heilsam. Urlaub findet oft zu kurz, zu selten und noch zu nah am Job statt. Damit ist keine geografische Entfernung gemeint, sondern eine mentale. Abschalten und Urlaub machen heißt auch bewusst Abstand vom Job zu nehmen. Keine E-Mail ist es wert, auch nur für die Zeit des Lesens meinen Urlaub zu unterbrechen. Wenn es wirklich dringend ist, wird angerufen. Und selbst dann muss man auch nicht zwingend rangehen. Seit ich das sehr bewusst so angehe, sind meine Pausen und Urlaube sehr viel erholsamer.

Ausgleich im Alltag schaffen: Interessen und Hobbys sind nicht nur angenehme Tätigkeiten, denen wir gern mal nachgehen. Sie machen uns zu dem, was wir sind. Sie sind es, die uns ausmachen, viel mehr als der Job. Für die einen ist es Sport, für andere der Familienhund oder sonst was. Hier finden wir einen Ausgleich und Abwechslung zum Arbeitsalltag.

Schlaf: Ausreichend und qualitativ hochwertiger Schlaf ist enorm wichtig für unsere psychische wie auch physische Gesundheit. Das geht mittlerweile aus einer Vielzahl an Studien hervor. Zudem ist er aber auch eine gute Waffe zur Vorbeugung von Burnout. Eine Faustregel besagt, dass ein gesunder Schlaf etwa 7–9 Stunden pro Nacht beträgt. Dieser Wert kann natürlich individuell etwas variieren, sollte aber grob in diesem Fenster liegen. Wird dieses Schlafpensum zu oft und zu drastisch unterschritten, kann das weitreichende Folgen haben: Die Stressresistenz wird deutlich vermindert, und es kommt zu Konzentrationsschwächen. Bei langen Arbeitstagen bis spät in die Nacht hinein ist es oft schwer, ausreichend Schlaf zu bekommen. Was mir sehr half, war, öfter auf den Absacker in der Hotellobby zu verzichten und einfach ins Bett zu gehen. So komme ich zwar auch nur selten auf meine üblichen 8 Stunden, aber immerhin auf 1–2 Stunden mehr, als wenn ich noch geblieben wäre. Eine weitere Idee sind kleine Powernaps, wenn es denn möglich ist. Nach dem Soundcheck ein halbes Stündchen im Backstage die Augen auszuruhen war bisher nie verkehrt.

Grenzen setzen, Hilfe suchen

Bei aller Leidenschaft, die wir unserem Job und dieser Branche entgegenbringen – wir müssen anfangen, Grenzen zu setzen. Vor allem für uns selbst. Wir müssen aufhören, uns für einen Job aufzuopfern, der ohnehin schon sehr viel von uns fordert. Vielmehr sollten wir auf das hören, was unser Körper uns mal subtil und mal sehr deutlich versucht mitzuteilen.

Zuletzt lässt sich meiner Meinung nach nur noch eines sagen: Wenn ihr psychische Probleme habt oder Anzeichen für z.B. Burnout erkennt, dann holt euch bitte Hilfe. Als selbst betroffene Person weiß ich, wie schwer es sein kann, eben diese Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Anderen geht es schlechter, und die halten auch durch“ ist hier definitiv der falsche Ansatz. Redet mit Freund:innen und Angehörigen und sucht euch bitte professionelle Hilfe. Bei akuteren Fällen könnt ihr euch auch an die Telefonseelsorge wenden: 0800 1110111 / 0800 1110222 oder 116 123.

Passt bitte auf euch auf!


Max Geisenhainer

Max Geisenhainer arbeitet seit mittlerweile rund 10 Jahren als Tontechniker in der Veranstaltungsbranche.

Nach seiner Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik im Kassablanca in Jena verschlug es den mittlerweile 31 jährigen im September 2017 nach Leipzig.

Als erfahrener FOH- und Monitor-Operator für Künstler:innen und Bands wie zum Beispiel Sarah Lesch, Wonach wir Suchen oder Chiefland kennt er die Herausforderungen und Belastungen des Jobs aus eigener Erfahrung und beleuchtet im vorliegenden Artikel die große Gefahr für die psychische und körperliche Gesundheit, die diese Branche mit sich bringen kann, wenn man nicht aufpasst.

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