Der Artikel „Rock’n’Roll macht arm und frei, aber nicht unverwundbar“ hat auf mothergrid viel Resonanz erfahren. Die überwiegenden Reaktionen waren positiv, besonders die emotionale Tonlage und die persönliche Perspektive fanden Anklang. Doch es gab auch kritische Stimmen. Der Vorwurf: Der Text spiegele zwar ein Gefühl, aber keine fundierte Auseinandersetzung mit den strukturellen Herausforderungen der Branche. Anlass genug, sich genauer mit der Frage zu befassen: Wie professionell ist die Veranstaltungsbranche eigentlich?
Wirtschaftskraft mit Identitätskrise
Die Veranstaltungswirtschaft gehört zu den umsatzstärksten Branchen in Deutschland. Laut einer Meta-Studie des RIFEL-Instituts aus dem Jahr 2020 belief sich der Gesamtumsatz (inklusive indirekter Effekte) auf rund 130 Milliarden Euro. Damit rangiert der Sektor auf Augenhöhe mit der Automobil- oder Bauindustrie. Allerdings ist diese Einordnung auch eine kommunikative Zuspitzung, die insbesondere in der politischen Interessenvertretung verwendet wird – statistisch eindeutig belegen lässt sich der „sechstgrößte Wirtschaftszweig“ bislang nicht.
Dennoch ist die Branche schwer zu greifen: Sie verteilt sich auf mehr als 100 verschiedene Wirtschaftszweig-Kategorien, was eine einheitliche statistische Erfassung erschwert.
Hinzu kommt eine kleinteilige Struktur: Die Mehrheit der Betriebe sind Kleinstunternehmen, ein großer Teil davon besteht aus Solo-Selbstständigen. Laut einer Marktanalyse haben 71 Prozent der Unternehmen weniger als 500.000 Euro Jahresumsatz, 43 Prozent sind Ein-Personen-Betriebe. Großunternehmen machen weniger als ein Prozent aus. Diese Fragmentierung erschwert Standardisierung und Interessenvertretung gleichermaßen.
Ausbildungswege und Fachkräftemangel
Seit der Einführung der Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik im Jahr 1998 gibt es verbindliche Qualifizierungswege. Hinzu kamen Fortbildungen zum Meister, Veranstaltungskaufleute sowie spezialisierte Studiengänge. Inzwischen ist das Ausbildungsangebot differenziert und etabliert. Dennoch bleibt die Durchdringung begrenzt. Viele Berufstätige sind Quereinsteiger:innen, die ihre Expertise im Feld erworben haben. Gleichzeitig ist der Fachkräftemangel ein Dauerbrenner: Nach Schätzungen der Verbände haben seit Beginn der Pandemie mehr als die Hälfte der Fachkräfte die Branche verlassen.
Brancheninitiativen wie „100PRO“ werben aktiv für Nachwuchs, doch das Image leidet unter den realen Arbeitsbedingungen: unregelmäßige Arbeitszeiten, wenig Planbarkeit, hoher Leistungsdruck. Viele der überbetrieblich tätigen Fachkräfte arbeiten als Freelancer, was angesichts wechselnder Projektarbeit praktikabel ist, aber zugleich ein hohes Maß an Eigenverantwortung hinsichtlich sozialer Absicherung erfordert.
Von der Krise zum Strukturwandel
Die Corona-Pandemie war ein Katalysator. 2020 brach der Umsatz der Branche um über 75 Prozent ein. Veranstaltungsverbote führten dazu, dass mehr als 70 Prozent der Betriebe sich in ihrer Existenz bedroht sahen.
Doch die Krise brachte auch eine nie dagewesene Sichtbarkeit: Initiativen wie #AlarmstufeRot, die „Night of Light“ und das Forum Veranstaltungswirtschaft machten die Notlage öffentlich. Erstmals sprach die Politik über die Branche nicht nur als Kulturangebot, sondern als systemrelevanten Wirtschaftszweig. In der Folge formierten sich neue Verbandsstrukturen, Studien lieferten belastbare Zahlen, und es entstanden strategische Allianzen wie das Forum Veranstaltungswirtschaft.
Diese Bewegung führte zu einer neuen Selbstverortung: Die Veranstaltungswirtschaft verstand sich zunehmend als eigenständige Branche mit spezifischen Bedürfnissen – und als politische Stimme mit Gewicht.
Neue Unsicherheit: Konjunktur, Kosten und Personalnot
Während sich die Veranstaltungswirtschaft nach den massiven Einbrüchen durch die Pandemie weitgehend erholt hat, bleibt die wirtschaftliche Gesamtlage angespannt. Viele Marktbeobachter:innen rechnen mit einer konjunkturellen Abkühlung oder sogar einer neuen Wirtschaftskrise. Laut ifo Institut blieb das Geschäftsklima in der Veranstaltungswirtschaft im Jahr 2023 zwar besser als im Branchendurchschnitt, doch die Erwartungen trübten sich zuletzt deutlich ein. So meldeten im Herbst 2023 rund 40 Prozent der Unternehmen, dass der Fachkräftemangel die wirtschaftliche Erholung behindert. Zugleich steigen Produktionskosten und Löhne deutlich, während Auftraggeber Budgets zusammenstreichen – eine brisante Mischung.
Die Branche steht damit vor der Herausforderung, sich nicht nur gegenüber den Nachwirkungen der Pandemie zu behaupten, sondern auch gegenüber allgemeinen wirtschaftlichen Verwerfungen resilient zu bleiben. Das verlangt nicht nur Flexibilität, sondern auch strategische Klarheit: Wo will man hin, wie kann man als Branche gemeinsam agieren und welche politischen Rahmenbedingungen sind nötig, um krisenfester zu werden? Die Veranstaltungswirtschaft verstand sich zunehmend als eigenständige Branche mit spezifischen Bedürfnissen – und als politische Stimme mit Gewicht.
Ein enger Blick – mit Berechtigung, aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit
Um es noch einmal deutlich zu machen: Der vorausgegangene Artikel „Rock’n’Roll macht arm und frei, aber nicht unverwundbar“ fokusierte sich bewusst auf den Touringbereich – also auf mobile Produktionen, Festivalbetrieb und Konzerttourneen. Dieser Sektor ist geprägt von hoher Reisetätigkeit, temporären Teams und einem besonders hohen Anteil freier Mitarbeit. Er bildet jedoch nur einen Teilbereich der vielfältigen Veranstaltungswirtschaft ab, die auch Messebau, Kongresswesen, Corporate Events, Theaterhäuser, kommunale Kulturarbeit und feste Veranstaltungsstätten umfasst. Viele der strukturellen Fragen ähneln sich, andere unterscheiden sich teils deutlich – etwa in Bezug auf Planungshorizonte, Beschäftigungsformen oder politische Förderung. Der Touringbereich ist deshalb exemplarisch zu lesen, nicht repräsentativ für die gesamte Branche.
Professionalisierung: Ein offener Prozess
Professionalisierung zeigt sich nicht nur in formalen Ausbildungswegen oder in wirtschaftlichen Kennzahlen, sondern auch in der Frage: Wie spricht eine Branche über sich selbst? Die Veranstaltungswirtschaft ist traditionell stark von Leidenschaft, Improvisationstalent und Pragmatismus geprägt. Diese Eigenschaften sind Teil ihrer DNA – aber sie dürfen nicht länger als Ausrede dienen, wenn es um Standards, Arbeitsbedingungen und politische Sichtbarkeit geht.
Die gute Nachricht: Die Grundlage für diesen Wandel ist gelegt. Ausbildungsberufe sind etabliert, Verbände sind vernetzt, und die wirtschaftliche Bedeutung ist belegt. Die Herausforderung bleibt, diese Ressourcen zu nutzen: für bessere Kommunikation, transparente Qualitätsstandards und ein zeitgemäßes Berufsbild, das zwischen Kreativität und Struktur vermitteln kann.
Ein einzelner Artikel kann diesen Wandel nicht abbilden. Aber er kann ein Gespräch anstoßen. Die Resonanz auf „Rock’n’Roll macht arm und frei, aber nicht unverwundbar“ hat gezeigt, dass das Bedürfnis danach groß ist.
Die Endfassung dieses Artikels hat die KI nicht geschrieben, aber sie war sehr hilfreich bei der Recherche.
Quellen (Auswahl):
- R.I.F.E.L. Meta-Studie Veranstaltungswirtschaft (2020)
- Forum Veranstaltungswirtschaft
- fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft
- ISDV e.V.
- #AlarmstufeRot
- Night of Light
- ifo Institut: Branchenklima Veranstaltungswirtschaft
- IGVW und VPLT: Statistische Erhebungen
- Eigene Recherchen und Branchengespräche