Rock’n’Roll macht arm und frei – aber nicht unverwundbar

(english version)

Ich hab geträumt, dass Iggy Pop mich anruft. Ob ich das Licht bei seiner nächsten Tour drücken kann. Von Design hat er gar nicht erst geredet, es sollte alles „not so professional“ sein und da kam er irgendwie auf mich. Ein Traum halt. Jedenfalls begann in diesem Traum dann eine tolle Zeit, mit Nightliner und allem Drum und Dran. Iggy ist immer mit der Crew im Bus mitgefahren und wir alle wurden Freunde.

Und dann: Funkstille. Als die Plakate für die nächste Tour direkt vor meinem Fenster hingen, hab ich noch lange auf einen Anruf gewartet, aber der kam nicht.

Aber passiert sowas wirklich? Schließlich haben doch die meisten dem Rock’n’Roll ihre Seele verkauft, weil er genau solche Nummern nicht abzieht. Rock’n’Roll macht arm und frei, aber er kommt doch weitgehend ohne Arschlöcher aus, zumindest von Mann zu Mann, oder?

Tja, um es gleich vorweg zu sagen: Ganz so geil ist diese Utopie dann doch nicht in der Realität angekommen. Ich hab ein bisschen herumtelefoniert, die eine oder andere Geschichte hatte ich auch vorher schon am Rande mitbekommen, aber als ich dann direkt nachbohrte, tat sich doch der eine oder andere Abgrund auf.

Und um noch eins vorauszuschicken: Keiner der Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, würde tauschen wollen, so viel kann ich glaube ich sagen. Weil ja in der Welt abseits des Showbusiness auch viel Zwischenmenschliches vor die Hunde geht, Tag für Tag. Und wir uns alle vielleicht ein wenig auf der Insel der Seligen wähnen.

Und im Showbiz werden die wenigsten reich, da könnten doch alle zusammenhalten und die Utopie einer besseren Welt, die uns der Rock’n’Roll irgendwann im letzten Jahrtausend versprochen hat, ein klein wenig umsetzen?

Und dann war da Stille

Ist das überhaupt ein Thema? Ich meine: Das hier ist Rock’n’Roll, oder? Wer auf Tour geht, weiß doch, worauf er sich einlässt. Keine Sicherheit, keine Jobgarantie, keine geregelten Arbeitszeiten. Es ist ein Leben auf Zeit, ein Beruf mit Verfallsdatum, und das nicht selten schon vor dem Ablauf der letzten Show.

Aber was, wenn der Abschied nicht einvernehmlich ist? Was, wenn er einfach passiert? Von einem Tag auf den anderen – keine Ansage, kein Anruf, nicht mal ein „War schön mit dir“?

Da war zum Beispiel der Lichtdesigner, der über viele Jahre hinweg die visuelle Identität einer Band geprägt hat. Er hatte nicht einfach das Licht gefahren – er hatte Stimmungen gebaut, Songs lesbar gemacht, den Sound in Farben übersetzt. Dann, eines Tages, kam ein neuer musikalischer Leiter. Und der brachte sein eigenes Team mit. Der Lichtdesigner wurde informiert – nicht von der Band, sondern durch einen Facebook-Post. „Ich dachte erst, das wäre ein Fehler“, sagte er. War es nicht.

Nur: „Ab morgen nicht mehr“

Oder die Tourmanagerin, die seit den Anfangstagen einer Künstlerkarriere mit dabei war. Vom Sprinter über erste Clubtouren bis zur großen Hallenproduktion. Immer die erste am Venue, oft die letzte, die ging. Sie kümmerte sich nicht nur um Zeitpläne und Budgets, sondern auch um Menschen. „Ich war irgendwann sowas wie die große Schwester der ganzen Crew“, erzählte sie. Bis dann jemand kam, der meinte: Frischer Wind. Und „zu vertraut“ sei auch nicht gut fürs Geschäft. Keine Auseinandersetzung. Kein Gespräch. Nur: „Ab morgen nicht mehr.

Manchmal, sagte ein anderer, wird die Trennung sogar inszeniert: „Etwas perfider ist die Variante, dem Gegenüber auch noch die Schuld unterzujubeln – am besten in Form eines theatralischen Tribunals. Immerhin geht es ja um Kunst, da kann so ein wenig Inszenierung nicht schaden. Theater – aber ohne Publikum.

Und trotzdem: Die meisten, mit denen ich sprach, würden ihren Job gegen keinen anderen tauschen wollen. Einer sagte:
Ich hab in meinem Leben auf zehn Hochzeiten gleichzeitig getanzt, weil ich mit dieser Arbeit alle meine Talente einbringen konnte. Wo hätte ich das sonst gekonnt?“ Das war kein Anflug von Eitelkeit – sondern ehrliche Dankbarkeit für ein Feld, in dem man Technik, Kreativität, Präzision und Bauchgefühl in einem Beruf vereinen kann.

Ein erfahrener Lichtdesigner mit internationalen Produktionen im Lebenslauf brachte einen spannenden Kontrast ins Spiel: Bei den ganz großen Shows – mit hoher Professionalität und langen Produktionswegen – sei der Umgang oft respektvoller, verbindlicher. „Da wird nichts über Nacht entschieden“, sagte er. „Und wenn man geht, dann weiß man auch, warum.“ Anders sei das bei vielen schnell groß gewordenen jüngeren Acts, die zwar Professionalität verlangen, aber oft die emotionale Konsequenz ausblenden: „Da ist man plötzlich raus – und keiner sagt mehr was. Nicht mal ein ‚Danke‘. Dabei wäre genau das wichtig.“

„Und irgendwann wollten sie meinen Platz“

Interessant war aber auf der anderen Seite auch das Gespräch mit einem Designer, der für eine bekannte Produktion das Lichtdesign übernommen hatte. Er entwickelte über Wochen eine detailreiche Show, sorgte für flüssige Übergänge, stimmige Farben und ein stimmungsvolles Gesamtkonzept. Als er nach der Premiere ausstieg, übergab er die Show an verschiedene Operator – die dann mehrere Jahre damit unterwegs waren. „Nach ein paar Jahren dachten die alle, das wäre ihre Show“, sagte er. „Und irgendwann wollten sie meinen Platz.“

Ein Paradebeispiel für ein Phänomen, das in der Branche gar nicht so selten ist: Die Nähe zur Show, die Verantwortung auf Tour, das tägliche Drücken des Lichts – all das lässt bei manchen den Eindruck entstehen, sie seien die eigentlichen Schöpfer der Show. Und wenn dann die nächste Gelegenheit kommt, greifen sie zu.

Er berichtete von mehreren Fällen, in denen genau das passiert ist – und erinnerte sich auch selbstkritisch an Momente, in denen er auf der anderen Seite stand: „Ich hab das früher auch gemacht – da war ich Mitte 20 und dachte, das ist jetzt meine Show. War es aber nicht.“

Früher mitgewachsen, heute ersetzt

Ein Designer der alten Schule brachte es auf den Punkt: „Früher bist du mit den Künstlern gewachsen. Heute wirst du irgendwann ersetzt – einfach, weil du nicht das globale Level hast oder nicht zum neuen Designer passt.“ Wenn ein internationaler Headliner kommt, bringt er eben sein eigenes Team mit. Und die alten gehen – oft ohne Erklärung.

Und wenn es zwischen Künstler:in und Lichtdesigner:in schon knirscht, dann wird es erst recht heikel, wenn sich Designer:innen untereinander in die Quere kommen. Denn in dieser Branche ersetzt selten ein anonymer Algorithmus den vorherigen – sondern fast immer ein Mensch einen anderen. Und man kennt sich. Oder man sollte sich zumindest kennen. Umso verletzender ist es, wenn der oder die Neue nicht mal fragt, wie es eigentlich dazu kam, dass da gerade ein Platz frei geworden ist.

Noch ein Aspekt, der fast allen Gesprächspartner:innen wichtig war: die Konkurrenz untereinander. In so einer kleinen Branche kennt man sich – und trotzdem kommt es oft vor, dass sich Designer:innen gegenseitig die Jobs abspenstig machen. Natürlich ist das nicht immer vermeidbar, aber es gäbe einen Ehrenkodex.

Wenn du das Angebot bekommst, für eine große Band das Licht zu machen – und du weißt, da war bisher jemand dran – dann rufst du den an“, sagte einer. „Fragst: ‚Was ist da los? Ist das sauber geregelt?‘“ Doch genau das passiert oft nicht.

Manche Designer bekommen ihren Rauswurf erst mit, wenn der oder die Nachfolger:in schon längst beim Previz sitzt. Die Branche lebt von Vertrauen – aber manchmal, so scheint es, auch von Verdrängung.

Vielleicht wäre es einfacher, wenn man sich daran hielte, was viele mir im Nachhinein sagten: Verwechsle Zusammenarbeit nie mit Freundschaft. Aber wer das sagt, hat vielleicht nie um drei Uhr morgens im Nightliner gesessen und gemeinsam „The Passenger“ mitgegrölt.

Markus Wilmsmann